<http://www.myspace.com/wobblermusic
Eine Redensart aus dem Musikgeschäft lautet: Man hat zehn Jahre Zeit,
das erste Album zu schreiben, aber nur eines für das zweite. Im Fall der
norwegischen Retro-Retro-Retro-Prog-Schrate Wobbler muss man dies eher
umdrehen. Ihr zweites Album "Afterglow" (2009) enthält nämlich
Kompositionen, die deutlich vor denen auf ihrem eigentlich Debütalbum
"Hinterland" (2005) geschrieben wurden (nämlich 1999), insbesondere jene
zwei Longtracks, mit denen Wobbler im Jahr 2003 über kostenlose
Demo-Downloads auf ihrer Website für einiges Aufsehen in der Prog-Szene
sorgten. Diese Demos weckten die Hoffnung, dass Wobbler legitime
Nachfolger der legendären Änglagård werden könnten. Zwar ist dieser
Vergleich mit den großen Schweden durch unbestreitbare Ähnlichkeiten im
Sound und in manchen kompositorischen Wendungen berechtigt: Wobber und
Änglagård beten zu den gleichen Göttern. Aber während Änglagård die eher
- sozusagen - protestantische Seite des Retro-Progs repräsentieren (bei
aller mystischer Emotionalität eine intellektuell geprägte asketische
Haltung), vertreten Wobbler den Katholizismus: Voller Pomp, bunt und
laut. Dies gilt weniger für das dröge "Hinterland", schon mehr für die
Demo-Downloads und in voller Glorie für "Afterglow". Die
Demo-Kompositionen wurden für das neue Album komplett und opulent neu
aufgenommen - und teilweise umbetitelt: Aus "Imperial Winter White
Dwarf" wurde "Imperial Winter White", aus "Leprechaun Behind the Door"
wurde "In Taberna". Wie auf "Hinterland" schwappen auch hier die
farbigen, teils mit Gastmusikern aufgepeppten Arrangements über vor
Lagen analoger Keyboard-Sounds, aber - das ist die ersehnte gute
Nachricht - die Stücke haben genau den Saft, die Kraft, den Schwung, den
Drang, der fast allem Material auf "Hinterland" schmerzlich, ja
schmerzhaft abging. Hier rappelt's im Karton - endlich. Wobbler erfinden
natürlich auch hier den Prog nicht neu, und das wollen sie sicherlich
auch gar nicht. Änglagård scheinen natürlich, siehe oben, deutlich
durch, aber stärker auch ELP und Gentle Giant, gelegentlich ein bisschen
frühe King Crimson und kaum - sicherlich deutlich weniger als auf
"Hinterland" - der lyrische klassische Prog à la frühe Genesis oder
frühe PFM. Die Kompositionen sind komplex, verspielt und niemals
langatmig oder gar langweilig (nicht alles was "langatmig" ist, muss
auch "langweilig" sein), und endlich klingt das Schlagzeug auch
vernünftig: Auf den Demos kam es aus der Dose, auf Hinterland erstickte
es im Keyboard-Brei; Drummer Kneppen ist nicht umsonst von einem
vielleich retro-politisch korrekten, aber schwachbrüstigen Ludwig Set
auf Yamaha Trommeln umgestiegen. Die eindeutige Enttäuschung in Sachen
"Afterglow" ist die Tatsache, dass es außer den beiden an sich bereits
bekannten Stücken kaum neues Material enthält. Die drei anderen
Kurznummern bauen zwar um die beiden Longtracks einen Rahmen, der das
Album weiter strukturiert (vor allem hieven sie es auf die immer noch
magere Gesamtlaufzeit von knapp 35 Minuten), bieten aber musikalisch
wenig Mehrwert: "Interlude" ist ein Stück für akustische Gitarre, "The
Haywain" und "Armoury" sind Instrumentalnummern, die von
Renaissance-Musik inspiriert scheinen. Mein Vorschlag: Wir tun einfach
so, als ob "Afterglow" Wobblers erstes Album sei (was es in gewisser
Weise ja auch ist) und vergessen "Hinterland"; so könnten wir berechtigt
auf große Folgetaten aus Norwegen hoffen. [Review: Udo Gerhards/BBS -
12/15 Punkten]
Tracklist:
1. The Haywain 0:55 2. Imperial Winter White 15:02 3. Interlude 2:35 4. In Taberna 13:10 5. Armoury 3:00