http://www.myspace.com/liquidscarletband
Das schwierige zweite Album. Und schwierig ist es in der Tat
geworden. Während auf dem Debut noch klar der Retro mit Anklängen an
bekannte Genregrößen dominierte, verbunden mit alternativerockiger
Aufgekratztheit, wirkt II eigenständiger. Die Gesamtstimmung des Albums
ist schwermütiger als beim Debut. ?Tanzbarkeit? kommt einem eher selten
in den Sinn. Es wirkt auch ? besonders in der 1. Hälfte ? kantiger als
zuvor. Auch haben verstärkt jazzige und psychedelische Elemente Einzug
gehalten. Die Songs kommen dabei nach meinem Empfinden gewissermaßen als
ungleiche Zwillinge daher. Dem elegischen, sich von einer pianolastigen
Kargheit in ein munter-hymnisches Finale steigernden Opener entspricht
der ähnlich aufgebaute, aber stärker in sich ruhende Abschluss ?Lines?.
Der Longplayer ?The Carafe (Part II)?, der nach einem knarzigen Intro
zwischen ruhigen, jazzigen bis crimsonigen und Tom-Waits-haften
Ausbrüchen variiert, kommt "Rhododendron" gleich, das nach einem
psychedelischen Einstieg und einem deftig-proggigen Ausbruch die
Spannung ganz langsam wieder aufbaut. Beide Stücke leben von der
Verhaltenheit der Musik in weiten Teilen, die nach einer Auflösung
schreit, die dann auch jeweils mit schönem elegischen Schwermut gegeben
wird. Für mich stellen diese beiden Songs in ihrer Verstörtheit einen
Höhepunkt des Albums dar. Eingerahmt werden sie von zwei psychedelischen
Stücken, von denen das erste ?The Marriage of Maria Braun? Erinnerungen
an die späten Beatles, aber auch die mittleren Porcupine Tree wachruft. Die kürzere zweite Hälfte fällt demgegenüber leider etwas ab. Gerade
?Just like you? weiß nach dem schon recht ruhigen ?Everywhere? mit
seiner Streichquartettlastigkeit nicht so recht zu überzeugen. An dieser
Stelle empfinde ich das sonst nette Stück jedenfalls als Fehlgriff. Der
zweite Anlauf mit ?There?s got to be a way to leave? gerät da schon
deutlich besser. Und schließlich sind da noch die beiden Rocker, die mit
den geruhsameren Streicherquartetten abwechseln. ?Killer Couple strikes
again? ist der vom Text her trashige Opener der zeitgleich erschienenen
EP. Hat was von der coolen Straightness von Gentle Giant zur Zeit von
Interview. ?The Thorn in your flesh? hingegen tendiert stärker ins
Alternativrockige. Und nach dem abschließenden hymnischen ?Lines?
schließt sich wieder der Kreis. Dieses Album reißt mich hin und her und bewegt mich in seiner
Zerrissenheit aber eben auch mehr als vieles, was ich seit langem gehört
habe. Liquid Scarlet haben keinen Abklatsch ihres Debuts geliefert,
sondern entwickeln einen sehr eigenen Sound, eine sehr eigene,
verhaltene Stimmung mit den nötigen Eruptionen. Trotz der in meinen
Ohren etwas schwächelnden zweiten Hälfte hat dieses Album etwas, was es
mich immer wieder anhören lässt: Charakter, Tiefe und eine untergründige
Spannung.
Tracklist
1. Lines are drawn again 5:14 2. The Carafe (Part II) 10:07 3. The Marriage of Maria Braun 4:33 4. Rhododendron 9:30 5. Everywhere 4:05 6. Just like you 4:19 7. Killer Couple strikes again 3:51 8. There's got to be a way to leave 4:26 9. The Thorn in your flesh 3:56 10. Lines 7:09